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Im „Finster“ isst das Auge mit

Betrieb von Diana Haneke stoßen Text- und vor allem Bildberichterstattung schnell an ihre Grenzen. Trotzdem sei an dieser Stelle der Versuch gewagt. Die 41-Jährige betreibt das nach Eigenangaben „erste und größte Dunkelrestaurant des Ruhrgebiets“. Im „Finster“ isst das Auge eben nicht mit. Hier sieht der Gast die Gabel vorm Mund nicht. Die Bedienung übernehmen Menschen, […]

Betrieb von Diana Haneke stoßen Text- und vor allem Bildberichterstattung schnell an ihre Grenzen. Trotzdem sei an dieser Stelle der Versuch gewagt. Die 41-Jährige betreibt das nach Eigenangaben „erste und größte Dunkelrestaurant des Ruhrgebiets“. Im „Finster“ isst das Auge eben nicht mit. Hier sieht der Gast die Gabel vorm Mund nicht. Die Bedienung übernehmen Menschen, die mitunter schon ihr ganzes Leben ohne Augenlicht auskommen. Sie sind blind oder stark sehbehindert. Das Konzept des Restaurants – das in der Anfangszeit schon mal Kai Pflaume mit dem TV-Format „Nur die Liebe zählt“ nach Holsterhausen lockte – übt auch 15 Jahre nach der Eröffnung eine starke Faszination aus. „Die Leute kommen sogar aus dem Sauerland zu uns“, sagt die Pächterin. Wer am Wochenende einen Tisch haben möchte, sollte mindestens vier Wochen im Voraus reservieren.

Stolperfallen ausgeschlossen

Zum Gespräch hat Diana Haneke in den Empfangsbereich mit Theke geladen. Hier ist es hell. Ebenso wie in der Küche und natürlich auf den Toiletten. In den beiden Speisesälen aber herrscht zu den Öffnungszeiten tiefe Finsternis. Dafür sorgen heruntergelassene Jalousien, Vorhänge und sogar Folien an den Fenstern. Smartphones und Uhren mit Leuchtziffern sind tabu. Auch Handtaschen müssen an sicherer Stelle verstaut werden – zu leicht könnten sie zu Stolperfallen werden. Lichtschleusen an den Ein- und Ausgängen verhindern, dass auch nur ein matter Schein hineindringt. Bis zu 90 Gäste können hier zeitgleich einen Abend der besonderen Art erleben. Es sind Paare, Freundeskreise oder Familien. Auch Kinder sind herzlich willkommen. Sie sollten allerdings ein gewisses Alter erreicht haben. Sonst könnten sie unruhig werden oder sogar Angst bekommen. „Ab acht Jahren ist es für gewöhnlich kein Problem“, sagt die Mutter eines sechsjährigen Sohnes.

Das „Finster“ will eine vage Vorstellung davon geben, wie es ist, die Welt „nur“ mit Tasten, Hören, Riechen und Schmecken zu erleben. Dabei geht es nicht um billige

Effekthascherei oder gar das Vorführen des Personals. „Meine Mitarbeiterin und dieMitarbeiter im Service sind ganz normale Menschen und wollen auch so wahrgenommen werden“, betont Diana Haneke. Witze und Frotzeleien sind an der Tagesordnung. „Schön, dich zu sehen“, ist ein beliebter Standardspruch im „Finster“. Auch das Maulwurf-Maskottchen „Finsti“ zeugt von einer gehörigen Portion Humor. Während des Essens, das in der Regel zweieinhalb Stunden dauert, erzählen die Kellnerin und ihre fünf Kollegen aus ihrem Leben. Und auch, ob sie von Geburt an blind sind oder eine spätere Krankheit oder ein Unfall die Ursache war. Zudem findet meist eine Unterhaltung zwischen den Tischen statt. Fremde Menschen sprechen miteinander. Und sind am Ende des Abends ganz überrascht, wenn sie sich „draußen“, also im Licht, begegnen. „Dich habe ich mir ganz anders vorgestellt“, sei ein immer wieder gehörter Satz, sagt Diana Haneke. „Der Klang der Stimme lässt eben keine Rückschlüsse über das Aussehen zu.“ Auch das ist eine Lektion des Restaurantbesuchs.

»Unsere Gäste wollen und sollen schmecken, was sie auf dem Teller haben.«

Paprika statt Tomate

Natürlich geht es auch ums Essen. Sieben bis acht verschiedene Menüs stehen zur Auswahl. Ihre Beschreibung ist denkbar kurz: „Wild“, „Fisch“, „Mediterran“ oder „Vegetarisch“ – mehr steht nicht auf der großen Tafel. Drei bis vier Gänge, von der Suppe bis zum Dessert, werden gereicht. Konkrete Gerichte nennt das Team absichtlich nicht. „Unsere Gäste wollen und sollen erschmecken, was sie auf dem Teller haben“, erklärt Diana Haneke. Erst am Ende erfolgt die Auflösung. Diese führt mitunter zu großer Verwunderung. „Wer beispielsweise hundertprozentig sicher war, ein Stück Tomate auf der Gabel gehabt zu haben, kann kaum glauben, dass es in Wirklichkeit eine Paprika war.“ Anders als manche vermuten dürften, kommt es in den Dunkelräumen so gut wie nie zu größeren „Unfällen“. Soßen- oder Weinflecke auf Hemd, Rock oder Tischdecke sind laut der Betreiberin nicht häufiger als in „normalen“ Restaurants. „Es bewegen sich eben alle sehr viel vorsichtiger als üblich.“

Von Köln nach Essen

Wer den Raum verlassen möchte, ruft einfach nach der Bedienung und wird sicher ins Helle geleitet. Ganz selten treibt ein starkes Unbehagen den Gast ins Freie. „Gerade bei Firmen-Events, etwa Weihnachtsfeiern, weisen wir ausdrücklich darauf hin, dass alle Beteiligten über das Konzept informiert werden sollten“, betont Diana Haneke. Wer absolute Dunkelheit nicht mag, soll keine „böse Überraschung“ erleben. Der Großteil der Gäste ist jedoch nach der lichtlosen Premiere begeistert. So war es einst auch bei Diana Haneke. Der Besuch eines Dunkelrestaurants in Köln brachte die gelernte Rechtsanwaltsfachangestellte und Finanzbuchhalterin auf die Idee, das Gleiche in ihrer Heimatstadt zu starten. Bereut hat sie es nie. Auch wenn Corona eine harte Probe war. „Die Zahlen von 2019 haben wir zwar noch nicht ganz erreicht, es geht aber wieder spürbar bergauf.“

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Weitere Informationen

Weitere Informationen rund um das Restaurant finden Sie hier.

Daniel Boss

Verfasst von:
Daniel Boss

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