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IHK-Chefs von Politik enttäuscht: „Ruhrwirtschaft brennt“

Die Kluft zwischen Unternehmen im Ruhrgebiet und Regierungen wird immer tiefer. Was die IHKs dringend von Berlin und Düsseldorf fordern.

Der Unmut in den Unternehmen wächst. „Bislang hat es in der Ruhrwirtschaft geglüht. Jetzt brennt es und zwar in einem nicht unerheblichen Umfang“, sagt der Duisburger IHK-Präsident Werner Schaurte-Küppers stellvertretend für die sechs Industrie- und Handelskammern im Ruhrgebiet. Im Gespräch mit unserer Redaktion berichten sie, welche Probleme die Betriebe aktuell am meisten drücken, warum sie von der Politik enttäuscht sind und was sie jetzt fordern. Es knirscht zwischen den IHKs und der Politik. Und das hat viele Gründe. „Deutschland ist im internationalen Vergleich bei der Wettbewerbsfähigkeit weit abgerutscht. Das Ruhrgebiet hinkt noch weiter hinterher“, urteilt Schaurte-Küppers. Die gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen Bund und Land haben die Unternehmen offenbar satt. „Das Hin und Her in der Bundes- und in der Landesregierung muss aufhören. Wir brauchen sichere Aussagen“, fordert der IHK-Präsident und ist sich darin einig mit seinem Amtskollegen Ralf Stoffels aus Hagen. „Die NRW-Landesregierung zeigt bei vielen Themen auf Berlin oder Brüssel. Es mangelt an der einfachen, praxisnahen und bürokratiearmen Umsetzung vor Ort. Es gibt viele Gesprächsrunden. Dabei fehlt zuweilen die Geschwindigkeit in der konkreten Umsetzung der Vorschläge.“

»Wir stehen in NRW am Ende der Wachstumsleiter und das muss sich ändern«

Stefan Dietzfelbinger, Hauptgeschäftsführer der IHK Duisburg

Für Stefan Dietzfelbinger, den Hauptgeschäftsführer der IHK Duisburg, sind die Probleme hausgemacht. „NRW hinkt seit Jahren beim Wachstum hinterher. Aktuell sind wir sogar wieder Schlusslicht . Wir wollen NRW aber an der Spitze sehen“, sagt er und zeigt auf, woran es mangelt: „Wir brauchen dringend Wachstumsimpulse. Sie können vor allem in den Ministerien für Wirtschaft und Verkehr entstehen, die beide in der Hand der Grünen sind“, ruft Dietzfelbinger der schwarz-grünen NRW-Landesregierung zu.

Nicht gut angekommen ist in der Ruhrwirtschaft auch die jüngste Wachstumsprognose von Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne). „Unsicherheit ist Gift für die Wirtschaft. Die Landesregierung sieht eine Aufhellung der Konjunktur, die IHKs sprechen allenfalls von einer Seitwärtsbewegung. Es gibt keine einheitliche Bewertung der Lage“, sagt Ralf Stoffels, Präsident der IHK NRW.

„Bundes- und Landesregierung zeigen viel zu oft mit dem Finger aufeinander. Das muss aufhören. Es braucht mehr Gemeinsamkeit“, meint auch Kerstin Groß, Hauptgeschäftsführerin der IHK Essen. Sie fordert zudem mehr Tempo beim Reduzieren von Vorschriften. „Beim Bürokratieabbau muss ein Ruck durch die Bundes- und die Landesregierung gehen. Betriebe müssen zum Beispiel alle drei Monate eine Produktionskapazitätserfassung vornehmen. Das ist irre aufwändig. Der Prozess dafür sollten so schlank wie nur irgendwie möglich gestaltet werden“, nennt Groß nur ein Beispiel.

Die marode Infrastruktur im Lande beklagen die IHKs seit Jahrzehnten. Auf Fortschritte warten sie offenbar vergebens. „Es passt nicht, dass das Land Millionen an den Bund zurückgibt und immer mehr Brücken für Lkw gesperrt werden“, moniert Dietzfelbinger und nennt als Beispiel die Uerdinger Brücke, die das Rheinland mit dem Ruhrgebiet verbindet. „Seit 2017 ist klar, dass sie ersetzt werden muss. Konkrete Pläne dafür gibt es noch nicht. Die Wirtschaft setzt darauf, dass vier Spuren kommen“, meint der Duisburger IHK-Chef.

Der Hagener IHK-Präsident Stoffels richtet seinen Unmut auch gegen die Bundesregierung. „Die Mittel für den Ausbau der Bundesautobahnen sollen um 20 Prozent gekürzt werden. Dabei haben wir schon jetzt ein Verkehrsdesaster“, sagt er. Statt eines Sparkurses ruft Stoffels zum Handeln auf. „Wir fordern eine Taskforce für die Infrastruktur. Es kann doch nicht alles zentral aus Berlin gesteuert werden. Die IHKs haben einen Maßnahmenplan für das Ruhrgebiet vorgelegt.“ Dass vieles nicht rund läuft, machen die IHKs vor allem an der Energiewende fest. „In NRW sind rund 1000 Windräder in der Planung.

Um sie in Betrieb zu nehmen, brauchen wir aber auch den Ausbau der Stromnetze. Das ist eine Herkulesaufgabe“, nennt Fritz Jaeckel, Hauptgeschäftsführer der IHK Nord Westfalen, nur ein Beispiel.

Sein Dortmunder Amtskollege Stefan Schreiber skizziert ein zweites: „Die Bundesregierung will 20 Gaskraftwerke bis zum Jahr 2030 bauen. Es gibt keine Energieplanung. Es fehlt jegliches Handeln der Ampel und das ist im Hinblick auf die zeitlichen Vorgaben grob fahrlässig.“

Nicht voranzugehen, scheint es auch bei der Transformation zu klimaschonendem Wasserstoff, der in der Industrie das Erdgas ersetzen soll. Lars Baumgürtel, Chef von ZINQ, einem großen, energieintensiven Verzinkungsunternehmens aus Gelsenkirchen, attackiert die Politik. „„Es war der Kardinalfehler der Politik, Produktionsprozesse grundsätzlich und ohne Rücksicht auf die individuelle Ausgangslage der Unternehmen vor Ort elektrifizieren zu wollen. Für eine solch radikale Transformation in einem kaum machbaren Zeitraum ist unser Versorgungssystem nicht ausgerichtet. Eine Anpassung würde enorme Kosten verursachen und die Strompreise weiter steigen lassen. Strom ist bereits knapp und teuer“, sagt der Vizepräsident der IHK Nord Westfalen. Er ruft nach einer Importstrategie für Wasserstoff, die der Bund in den vergangenen Tagen nun tatsächlich auf den Weg gebracht hat.

Die Verfügbarkeit von Wasserstoff werde aber nicht ausreichen, argumentiert Baumgürtel. Es fehle an Leitungen, die den Gas-Ersatz in die Unternehmen bringen. „Bei der Planung von Wasserstoff-Pipelines haben wir viel Zeit verloren. Das liegt auch daran, weil zu viel und zu kleinteilig geplant und zu wenig gemacht wird“, kritisiert der Unternehmer.

Orientierung über die Energieversorgung der Zukunft, fehlt auf Ralf Stoffels, Präsident der IHK zu Hagen und der nord-rheinwestfälischen IHK. „Als Unternehmer, der Isolierstoffe und Silikone herstellt, stehe ich vor der Frage, ob ich in Gas oder Strom investieren soll“, berichtet er aus seinem Alltag. „Produktionsprozesse zu elektrifizieren, ist kostenmäßig nicht vertretbar. Das kann ich mir nicht leisten. Und Wasserstoff wird in meinem Unternehmen nie ankommen.“

Stoffels fehlt die politische Unterstützung. „Die NRW-Landesregierung ignoriert das. Beim Ausbau der Netze macht sie zwei Schritte nach vorn und einen zurück“, kritisiert der Unternehmer und erinnert an das Projekt Hydro Net, das Südwestfalen mit Wasserstoff versorgen sollte, bis ihm die Fördermittel gestrichen worden seien. „Das ist Sparen am falschen Ende“, so Stoffels.

»Die NRW-Landesregierung ignoriert das. Beim Ausbau der Netze macht sie zwei Schritte nach vorn und einen zurück«

Ralf Stoffels, Präsident der IHK zu Hagen und der nord-rheinwestfälischen IHK

Wachsende Sorgen bereitet den IHKs aber auch der Einzelhandel im Ruhrgebiet. „Filialisten ziehen sich zurück oder sind insolvent. Inhabergeführte Läden finden keine Nachfolger. In den Innenstädten sehen wir zunehmend Leerstände“, fasst der Dortmunder IHK-Präsident Heinz-Herbert Dustmann die Lage nüchtern zusammen. Der Unternehmer, der im Stadtteil Hombruch selbst ein Kaufhaus betreibt, fordert neben zusätzlichen verkaufsoffenen Sonntagen: „In den Innenstädten müssen wenigstens die Gehwege in Ordnung sein. Aggressives Betteln wie in Dortmund fördert sicherlich nicht den Konsum.“

Ungewöhnlich hart geht Dustmann mit dem Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof ins Gericht, der gerade sein drittes Insolvenzverfahren beendet. „70 Prozent der Probleme von Galeria Karstadt Kaufhof sind hausgemacht. Es drängt sich der Verdacht auf, dass es in den vergangenen Jahren nur um das schnelle Geld mit Immobilien ging. Jetzt haben wir die Hoffnung, dass die neuen Eigentümer etwas Besseres aus Galeria machen“, sagt er.

Das Thema Arbeits- und Fachkräftemangel treibt weiterhin nahezu alle Firmen um. Es gibt aber offenbar auch Licht am Ende des Tunnels: „Durch Unternehmensschließungen und Insolvenzen sehen wir wieder mehr Bewegung auf dem Bewerbermarkt für Fachkräfte“, sagt Philipp Böhme, Präsident der IHK Mittleres Ruhrgebiet, und ergänzt sogar noch: „Das wird aber nicht die Lücken schließen, die sich in den nächsten Jahren auftun. Deshalb müssen wir die Rahmenbedingungen für die Anwerbung ausländischer Fachkräfte deutlich verbessern. Da sind wir als IHKs dran.“

Weitere Informationen

Autor: Frank Meßing

Joelie Lunga

Verfasst von:
Joelie Lunga

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